Kerstin Evert, Dissertation
(Graduiertenkolleg Körper-Inszenierungen, Freie Universität Berlin):

DanceLab. Zeitgenössischer Tanz und Neue Technologien
(Mai/ November 2001, Justus-Liebig-Universität Gießen)

Den anderen Sparten des Theaters voran suchen TänzerInnen und ChoreographInnen in ihren künstlerischen Arbeiten den Kontakt zu und die Auseinandersetzung mit neuen Technologien. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Grenzüberschreitung und Vermischung der einzelnen Kunstgattungen zeigt sich Tanz als die (Bühnen-)Kunstform, die sich am aufgeschlossensten - neben sowie in Kooperation mit Performance, Medien- und Installationskunst - der Herausforderung zeitgenössischer technologischer Entwicklungen stellt und diese sowohl in ihre künstlerische Arbeit einbezieht als auch als praktisches Arbeitsinstrument für sich nutzbar zu machen versucht.
Seit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts ist eine ständig wachsende Zahl an Ensembles auszumachen, die im Bereich Tanz und neue Technologien arbeiten und experimentieren. Anhand ausgewählter Fallstudien zeitgenössischer Choreographen bzw. Ensembles wie Merce Cunningham, William Forsythe, Troika Ranch, Birgitta Trommler und Philip Lansdale sowie Stelarc, die neue Technologien im Aufführungskontext tragend einbeziehen, sie inhaltlich reflektieren oder als choreographisches Arbeitsinstrument im Probenprozess einsetzen, gibt diese Dissertation einen Überblick über die wichtigsten Einsatzgebiete neuer Technologien im zeitgenössischen Tanz der 90er Jahre. In den entstehenden Produktionen und prozessorientierten Ansätzen treffen tanztechnisch ausgebildete und perfektionierte Körper auf elektronische und digitale Technologien. Ballettsaal und Bühne erscheinen so nahezu als ‚Tanzlabor' in einem zweifachen Sinn: Theater - und damit Tanz als Bühnenkunstform - hat als medienintegrierende Kunstform immer jeweils neue (Medien-)Technologien benutzt, um deren ästhetische und technologische Möglichkeiten in einem intermedialen Austauschprozess für sich nutzbar zu machen.

 
Diese Aneignungsprozesse führen zu einer Veränderung von Darstellungs- und Inszenierungs- bzw. Choreographietechniken sowie von dramaturgischen Strukturen und Raumkonzeptionen. Sie bestimmen das Verhältnis von Inszenierungsparametern neu und befragen die Rolle des Zuschauers. In der Auseinandersetzung des zeitgenössischen Tanzes mit neuen Technologien ist dementsprechend eine Adaption von Strukturen und Modellen medientechnologischer Besonderheiten für den choreographischen Prozess und die choreographische Stilistik zu beobachten, die sich somit wiederum auf die Inszenierung des Körpers auf der Bühne und das so entworfene Körperbild auswirkt.
Neben ästhetischen und technologischen Einflüssen stellt sich so als zweiter Labor-Aspekt die Frage, wie sich der Umgang des tänzerisch trainierten Körpers mit den eingesetzten Technologien gestaltet, wie Technologie und Körper aufeinandertreffen, wie Körper in Auseinandersetzung mit neuen Technologien inszeniert und welche Körperbilder dabei auf der Bühne entworfen und präsentiert werden. Im Hinblick auf die skizzierten Fragestellungen werden die Fallbeispiele deshalb in Tanz- und Aufführungsanalysen mit einem Fokus auf die körperbezogenen Inszenierungsparameter untersucht.
Bislang liegen zu diesem Gegenstand lediglich einige Aufsätze und Kritiken aus dem feuilletonistischen sowie essayistischen Bereich vor. Diese Arbeit ist somit die erste komplexe wissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema.

Betreuer:

Frau Prof. Dr. Brandstetter (Universität Basel)
Herr Prof. Dr. Wulf (Freie Universität Berlin)